Projekte

Skulpturprojekt: „BalanceAkt- Kinderrechte“ – Projektbeschreibung

Ein Projekt des Kinderschutzbundes, Hagen und des Freundeskreises Hagen-Smolensk

Bisher einmalig in der Bundesrepublik Deutschland soll in Hagen eine Skulptur zum Thema „Kinderrechte“ dauerhaft im öffentlichen Raum an einem repräsentativen Ort aufgestellt werden.

Ziel

Durch die Skulptur soll darauf hingewiesen werden, wie fragil heute Kinderrechte sind. Es soll mit diesem Projekt ein Impuls für unsere Stadt, die Region, unser Land und darüber hinaus gegeben werden, Kinderrechte zu respektieren und die UNO-Kinderrechte-Konvention konsequent umzusetzen.

Idee  –  eine internationale Geschichte

Nach dem Besuch einiger russischer Kinderheime in Smolensk hat Christa Burghardt (Kinderschutzbund) auf ihrer Rückreise in Moskau zufällig die Skulpturengruppe „Die Laster der Erwachsenen“ des Künstlers Michael Shemyakin entdeckt. Vierzehn Figuren (ru Beschreibung der Skulpturengruppe) – zur Übersetzung den Button oben rechts anklicken- zeigen sehr plastisch menschliche Laster, unter denen insbesondere Kinder zu leiden haben, beispielsweise sieht man einen Mann, der ein Kind mit einem Rohrstock schlägt. Burghardt entwickelte die Idee, dass es als Gegenstück eine Skulpturengruppe geben müsste, die die Bedürfnisse der Kinder positiv darstellt. Damit war schnell eine Brücke zu der Kinderrechte-Konvention geschlagen, die von den Vereinten Nationen verabschiedet und von den meisten Staaten der Welt unterzeichnet worden ist. Zurück in Hagen besprach Burghardt ihre Idee mit Hans-Werner Engel (Freundeskreis Hagen-Smolensk), der diese Skulpturengruppe von Shemyakin ebenfalls kannte. Die Idee eines Skulpturen-Projekts für Hagen zum Thema Kinderrechte war geboren. 2007 stellte Hans-Werner Engel einen Kontakt zu dem Smolensker Künstler Prof. Alexander Parfeonov her, der bereits 2005 zwei sehr interessante Granitskulpturen für die Hagener Bevölkerung geschaffen hat. Er erklärte sich spontan bereit, eine Skulptur zum Thema „Kinderrechte“ zu entwerfen.

Skulptur -ein Name für die Skulptur wird noch gesucht-

Die Skulptur – ein balancierendes Mädchen mit einem Buch über die Kinderrechte in der Hand-  soll aus Bronze gefertigt werden. Sie steht auf einem mit Mosaiksteinen versehenen Regenbogen aus Beton. Dieser Regenbogen soll an beiden Enden aus dem Rasen herausragen.

Stelen über Kinderrechte

Ein „Pfad der Kinderrechte“ soll durch Stelen rund um die Skulptur entstehen. Auf 10 Stelen werden die wichtigsten Kinderrechte benannt, auf der 11. Stele soll der Gesamttext der Kinderrechtskonvention und auf der 12. Stele eine Beschreibung des Projekts „BalanceAkt Kinderrechte“ nachzulesen sein. Die Stelen werden aus Edelstahl bestehen und von dem Hagener Dirk Surma entworfen.

Begleitprojekte

Der Kinderschutzbund wird Projekte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene durchführen, durch die das Thema Kinderrechte pädagogisch aufgearbeitet wird. Über die Presse soll auf die Kinderrechte aufmerksam gemacht werden. Die Bevölkerung wird aufgerufen werden, Sinnsprüche zu den Kinderrechten einzureichen. Kinder und Jugendliche sollen in einem Workshop sensibilisiert werden, sich zu den Kinderrechten zu äußern. Gute Sinnsprüche, Zitate aus Kindermund, sowie Zeilen von Dichtern sollen zu lesen sein.

Standort

Die Skulptur und die 12 Stelen sollen im Dr. Ferdinand-David-Park stehen, der dem Hagener Rathaus an der Volme gegenüber liegt und an das „Haus für Kinder“ des Kinderschutzbundes grenzt, .

Termin der Skulptur-Enthüllung

20. September 2010, der internationale Weltkindertag

Finanzierung durch Spenden

Für das Projekt werden noch dringend Spenderinnen und Spender gesucht, damit die Bronzeplastik gegossen und von Smolensk nach Hagen transportiert werden kann. Auch die 12 Kinderrechte-Stelen können nur realisiert werden, wenn es Menschen gibt, die sich an den Materialkosten beteiligen. Bisher konnten unter anderem die Bezirksvertretung Mitte sowie der Bürgermeister von Smolensk Kachanowskij und weitere Privatpersonen als Förderer gewonnen werden.

Spendenkonto:

Freundeskreis Hagen-Smolensk e V.

Sparkasse Hagen

Konto 100 157 068

BLZ 450 500 01

UNO Kinderrechte-Konvention und deren Umsetzung in Deutschland

Die UN-Konvention zu den Rechten eines Kindes:

 

  • wurde am 2o.11.1989 verabschiedet und mit Vorbehalten am 5.4.1992 von der Bundesrepublik ratifiziert
  • haben alle Länder der Erde bis auf die USA und Somalia unterzeichnet
  • stellt Kinder als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten in den Mittelpunkt
  • verpflichtet die Unterzeichnerstaaten dazu, jedes Kind vor Hunger und Armut, physischer und psychischer Gewalt, Diskriminierung und Ausbeutung, Folter und Drogen zu schützen
  • garantiert jedem Kind das Recht auf eine Staatsangehörigkeit, Religions- und Gedankenfreiheit, freie Meinungsäußerung, auf Anhörung bei Strafverfahren und in Scheidungsprozessen, auf Gleichbehandlung und Bildung, kulturelle Entfaltung und Gesundheit
  • nimmt die Staaten in die Pflicht, für die Sicherheit der Kinder zu sorgen und die Eltern in die Pflicht, sich um ihre Kinder zu kümmern
  • nennt Regelungen, wie die Konvention bekannt gemacht und verbreitet werden muss, dass sie als Grundlage politischer Entscheidungen dienen und in alle Richtlinien der Aus- und Weiterbildung an Schulen und Universitäten einfließen soll
  • fordert, dass sich die Unterzeichnerstaaten regelmäßig einer UNO-Kommission stellen müssen, um über die Fortschritte bei der Umsetzung der Konvention zu berichten

 In New York fand 2002 der Weltkindergipfel „ungass“ statt, bei dem die Regierungschefs bzw. deren Vertreter weitere Schritte zur Umsetzung der Kinderrechte-Konvention beschlossen. Die Unterzeichner-Staaten sollen einen nationalen Aktionsplan mit konkreten Zielvorgaben beschließen. Auch Deutschland hat inzwischen einen nationalen Aktionsplan vorgelegt.

Umsetzung der Konvention in Deutschland

Deutschland hat die völkerrechtlich verbindliche Vereinbarung nur mit dem Vorbehalt ratifiziert :

  • dass das deutsche Ausländerrecht nicht durch die Konvention berührt werden darf.

 Das deutsche Ausländerrecht bleibt aber erkennbar hinter den Maßgaben der Konvention zurück. Sie ist in Deutschland noch immer nicht vollständig umgesetzt, wie die UNO-Kommission feststellte, die die bisher zwei Berichte (von 1995 und 2004) zur deutschen Kinderrechte-Politik prüfte. Die Hauptkritikpunkte sind:

  •  zahlreiche asylsuchende Kinder werden nicht ausreichend medizinisch versorgt, gehen nicht zur Schule und leiden unter einer ungeklärten Aufenthaltsfrage
  • es fehlt eine umfassende Kinderpolitik und es gibt zu viel Kompetenzprobleme zwischen Bund, Ländern und Gemeinden
  • Kinder werden noch immer nicht als ernst zu nehmende Bürger akzeptiert, deren Interessen in allen Bereichen vom Umweltschutz, über die Städtebauplanung bis zum Ausländerrecht anerkannt und berücksichtigt werden müssen
  • Die Konvention ist noch immer zu wenig bekannt und hat bisher keinen Eingang in Lehrpläne der Schulen oder Ausbildungsrichtlinien von Sozialarbeitern, in die Arbeit von Kommunalpolitikern, Juristen und Entscheidungsträgern in allen Bereichen gefunden.
  • Selbst die meisten Kinder sind über ihre Rechte zu wenig informiert, an den Schulen wird kaum darüber gesprochen. Nachdem die Bundesregierung im Januar 2004 ihren 2. Staatenbericht über die Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland abgegeben hatte, äußerte die UNO zwar anerkennend über die erreichten Fortschritte z.B. bei der Gleichstellung unehelicher Kinder, sie bemängelte aber nach wie vor, dass es keine wirklich spürbare „Leidenschaft“ für die Rechte der Kinder gäbe.


Theaterprojekt „Wo ist Zuhause?“ – Fördervertrag

 Die RUHR.2010 GmbH und der Freundeskreis Hagen-Smolensk schließen Fördervertrag ab

Am 19. September 2008 unterschrieben die Vertreter der RUHR.2010 GmbH, Herr Dr. h.c. Fritz Pleitgen sowie Herr Prof. Oliver Scheytt und der Vorsitzende des Freundeskreises Hagen-Smolensk, Hans-Werner Engel, den Vertrag zur Förderung des Kulturhauptstadt-Projektes “Wo ist Zuhause?”. Der Förderbetrag beläuft sich auf 33,9 Prozent der kalkulierten Ausgaben.

Es ist der erste Vertrag, den die RUHR.2010 GmbH mit einem Projekt-Partner abgeschlossen hat.

Wir freuen uns sehr über die Förderung unseres Projektes und danken der RUHR 2010 GmbH schon jetzt für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit!

Die Premiere des Schauspiels von Wolfgang Borchert “Draußen vor der Tür” durch das “Ensemble der SchlossSpiele Hohenlimburg” unter der Regie von Dr. Peter Schütze wird am Freitag, 21. November 2008, 19.00 Uhr in der Aula des Albrecht-Dürer-Gymnasiums sein.  Der Vorverkauf für diese Veranstaltung beginnt am 20. Oktober 2008. Über “Kontakt” auf dieser Seite können sie Ihre Karten reservieren lassen. Auf weitere Vorverkaufsstellen wird später hingewiesen.

Damit beginnt nach den Aufführungen durch das Smolensker Studententheater “MIRACLE” in Hagen, Marl und Gerolstein der zweite Teil dieses Projekts, das mit der letzten Vorstellung in der Woche von 19. bis 15. Juli 2010 als einer der Höhepunkte des Kulturhauptstadt-Geschehens in Hagen endet.

Aleksey Dovgan hat die Preise für das Smolensker Filmfestival entworfen

Unser Partner in Smolensk, Aleksej Dovgan hat den diesjährigen Pokal für die Sieger des Filmfestivals in Smolensk gestaltet – einen Phönix.

pokal

Die recht große Figur, eine typische Arbeit für den Künstler, besteht aus vergoldetem Silber und ist sehr wertvoll. Der Freundeskreis Hagen-Smolensk gratuliert Aleksej Dovgan zu diesem schönen Erfolg.

http://www.smolnews.ru/news/30608

Fernsehsender RUSSIA-Smolensk berichtet über den Besuch von H.-W. Engel in Smolensk-Hagener Kunstausst.

Gemeinsam mit Aleksej Dovgan und Elena Chmurova erläutert Hans-Werner Engel dem Fernsehteam die Gemeinschaftsausstellung von Hagener und Smolensker Künstlern im zentralen Ausstellungsgebäude in Smolensk.

In einem sehr kurzen Interview erklärt Engel, dass der Freundeskreis Hagen-Smolensk durch die Einladung von Smolensker Künstlern, Dozenten und Studenten dazu beitragen möchte, dass zwischen den Menschen hüben und drüben Vorurteile abgebaut werden.

Eindrücke zu der Skulptur „Die Laster der Erwachsenen“ von Shemyakin in Moskau

Der Text stammt von einer uns namentlich nicht bekannten russischen Verfasserin. Wir haben ihn im Internet in russischer Sprache gefunden und sinngemäß übersetzt:

 „Das Thermometer vor dem Fenster zeigt zehn Grad unter Null an, auch nach den Vorhersagen des Radios. Sie müssen sehr begeistert sein von der Fotografie oder der Umfrage zum Denkmal oder beides zusammen, dass sie bei  einem solchen Frost und Wind hinaus gehen, um speziell das Kunstwerk zu bewundern, das Shemyakin mit seinen Händen gestaltet hat. Aber Sie müssen beachten, dass das Moskauer Wetter als launische Diva ist und zu Streichen neigt. Zum Beispiel im Januar, blieb die Temperatur konstant bei etwa 5 Grad, manchmal sank sie gnädig fast auf Null. Und wenn die Temperatur plötzlich von plus auf minus ging, verdeckte der Schnee alle Untaten. Doch es ist nicht an der Zeit auf das Wetter für den Monat Januar zurück zu blicken, denn es ist Tauwetter, alles schmilzt, so dass Schlamm und Matsch sich ausbreiten.

Bei diesen äußeren Bedingungen erreichte ich die Skulpturen und nun zu ihrer Beschreibung.

 Das Kunstwerk befindet sich im Park an einem trocken gelegten Sumpf am Ufer der Moskwa, und ich muss sagen, dass er versteckt zwischen den Bäumen und nicht leicht zu entdecken ist. Im Sommer, wenn das Laub alles umschließt und unaufmerksame Passanten zu Fuß vorbei gehen, kann es sein, dass sie das Kunstwerk nicht bemerken. Es gibt eigentlich keinen Anlass, besorgt zu sein, dass die Skulpturen im Zentrum der Stadt beschädigt werden. Insofern gibt es sicher keinen Grund für den beeindruckenden Lattenzaun, der den Bereich zusätzlich umschließt – er ist auch fast ein Kunstwerk. In der Mitte der Skulpturengruppe stehen zwei goldene Kinderfiguren – ein Junge und ein Mädchen mit verbundenen Augen. Sie streckten ihre Hände aus, als ob sie auf der Suche nach etwas wären. In einem Halbkreis sind sie von verschiedenen Figuren umgeben, die die Laster symbolisieren – es sind dreizehn Skulpturen: Drogenabhängigkeit, Prostitution, Diebstahl, Alkoholismus, Unwissenheit, falsche Lehren, Gleichgültigkeit, Propaganda von Gewalt, Sadismus, Menschen ohne Gedächtnis, Ausbeutung durch Kinderarbeit, Armut, Krieg. Ich bin nicht sicher, ob alles was sie als Schwächen der Menschen darstellen (z. B. das Eintreten für Gewalt ist für mich eindeutig kein Laster und auch nicht Propaganda), aber der Autor wird es sicher begründen können.

Das Mädchen und der Junge sind aus gelbem Metall, die Laster sind grau und sie sind höher und größer als die Kinder. Es wird deutlich, auf welcher Seite mehr Kraft liegt. Die grauen Figuren sind wirken durch die Färbunf hässlich und stehen sehr aufrecht, sie ziehen die Kinder nicht unmittelbar in ihren Bann … was wollen sie von ihnen? .. Greifen ihre Arme oder Tentakeln nach den Kindern. Ich weiß nicht was der Autor im Sinn hatte, aber ich gewinne nicht den Eindruck, dass diese Freaks die Kinder direkt bedrohen. Vielmehr stehen sie und scheinen auf etwas zu warten: Warte nur, wenn du auch erwachsen bist, fragen wir Sie! Allerdings haben einige Laster ihre Arme doch ausgestreckt und es ist durchaus möglich, dass, wenn die Kinder versehentlich Kontakt finden, sie bei den Beinen gepackt werden.

Gesamteindruck: Ich denke, das Kunstwerk ist sehr interessant und es stellt sich keine Ablehnung ein. Warum denke ich nicht eine Minute darüber nach, in welcher Welt Kinder leben? Niemand fragt nach deren Leben. Die einzige Frage:

Wer hat die Augen der Kinder verbunden? Logisch ist – Kinder sind hilflos gegen die Welt der Erwachsenen, aber wer wird es ihnen schon erlauben, in der Dunkelheit ohne Fürsorge und Obhut blind in dieser Welt umher zu laufen? Hier sind meine Gedanken ins Stocken geraten und ich glaube, ein Missverständnis in der Intention des Autors erkannt zu haben.

An diesem frostigen Wintertag bin ich allein am dort und trete über eine Kette, die auf dem Sockel montiert ist, um die Figuren aus der Nähe zu fotografieren. Unmittelbar ertönt ein lauter Pfiff, dann ruft jemand und ich begreife endlich, dass in dieser Stille und Leere wahrscheinlich jemand nach mir schreit. Ich blicke auf – am Zaun steht ein Mann vor einer Holzbude- offenbar der Bewacher der Anlage. Als ich ihn bemerke, erklärt er mir, dass ich nicht über die Ketten steigen darf. Ich habe versucht, ihm einen kleinen Gefallen zu entlocken. Erlauben sie es mir: ich tue nichts, ich will nichts berühren, einfach nur ein paar Bilder schießen, aber er bleibt hart. Ich diskutierte weiter nicht mit dem Mann, beschließe vor die Kette zurück zu treten und die Skulpturen von dort aus zu betrachten.

Aber warum muss dieses Kunstwerk geschützt werden? Und wie viel kostet es die Stadt? Aber es muss bewacht werden, denn es möchte nicht jeder diese Figuren sehen, aber schon etwas Schlechtes mit ihnen anstellen und so einen Beitrag im Kampf gegen das böse Laster leisten. Ein Beitrag wurde geleistet: An einer Skulptur wurden einige Bronzeteile abgesägt. Es ist besser, wenn diese Verbrecher etwas Brennholz haben oder eine rüstige Frau…

Am Ufer der Moskwa ist es an einem frostigen Wintertag traumhaft schön! Man kann die Kuppeln der Kreml-Kirchen sehen, weiß und still. Phantastisch! Sie sind nur ein wenig von der Skulpturengruppe entfernt …“

 

4. Februar 2005 –unbekannte russische Verfasserin

  

Ergänzend bemerke ich meinen ersten Eindruck aus dem Jahre 2005 von den Skulpturen:

Man möchte die Kinder mit den Augenbinden sogleich an die Hand nehmen und sie den bedrohlichen Lastern entziehen, aber es geht nicht – es ist wie im richtigen Leben.

 Hans-Werner Engel

Freundeskreis Hagen-Smolensk ist offizieller Partner der RUHR2010-Kulturhauptstadt Europa

Das Projekt „Wo ist Zuhause?“ mit den Aufführungen des Borchert-Stücks „Draußen vor der Tür“ durch das Studententheater „MIRACLE“ aus Smolensk und die Theatergruppe um den Regisseur Dr. Peter Schütze ist als „TWINS-Projekt“ genehmigt. Neben zwei anderen Projekten („Zäune“, Theater Hagen – Werner Hahn, Frau Opielka) vertreten wir unsere Stadt Hagen bei den Kulturhauptstadtaktivitäten.

Wir freuen uns sehr darüber und danken schon jetzt allen Spender, Förderern und Unterstützern für geleistete Hilfe.

„Das Leben ist die Antwort“ – Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 1984

Wolfgang Borchert: „Draußen vor der Tür“

Text: Dr. Peter Schütze

Kein Zweifel: Dieses Stück, in dem das Leben über den Rand der Verzweiflung zu stürzen scheint, hat überlebt. Noch heute, unter ganz anderen Bedingungen, ist viel von der heftigen Erregung und Erschütterung zu ahnen, die von der Uraufführung ausgegangen ist. Borchert war der erste seiner Generation gewesen, der auf dem Theater seine Stimme wiederfand; er hatte die verzagte Stummheit überwunden. Dabei konnte er, als „Draussen vor der Tür“ am 21. November 1047 in den Hamburger Kammerspielen gezeigt wurde, selbst nicht mehr sprechen; Borchert war tags zuvor, sechsundzwanzigjährig, im Baseler Clara-Spital gestorben, an Leiden, die durch Kriegsdienst, Gefängnis, Ausharren in einer Nazi-Todeszelle unheilbar geworden waren.

Weit über hundert Inszenierungen des Stückes lassen sich allein seit 1957 zählen; über die erste Zeit geben die Archive keine genaue Auskunft. Film und Fernsehen bemächtigten sich des Stoffes;  Tourneetheater trugen das Drama durch die Städte. Es erreichte seine Zuschauer nicht nur in der Bundesrepublik, der DDR, Österreich und der Schweiz; ich habe Aufführungen in Holland und Belgien, in Paris, Warschau, Helsinki und Lissabon verzeichnet gefunden. Seit Mitte der Siebziger Jahre häufen sich die Einstudierungen.

Dieses erstaunliche Echo gilt einem Stück, das, will man seinem Untertitel glauben, „kein Theater spielen und kein Publikum, sehen will“. Doch hat Borchert schon einiges von der Wirkung spüren dürfen, die von seinem einzigen Bühnenwerk ausgehen sollte. Ernst Schnabel, der Chefredakteur des WDR, hatte die Hörspielfassung ins Programm genommen. Die Ursendung konnte Borchert wegen einer Stromsperre in seinem Stadtviertel nicht hören, aber der Widerhall war so stark, daß das Hörspiel in kurzer Frist mehrfach wiederholt werden mußte. Borchert wurde mit Briefen überhäuft; des Andrangs von Besuchern, die Ähnliches erlebt hatten und deren Nerv getroffen war, mußte der todschwache Dichter sich schließlich erwehren. Trotzdem war es keine Koketterie zu meinen, daß das Publikum und die Theater sich dem Werk versperren würden. In einer Szene des Stücks stellt die Hauptfigur, der eben aus Sibirien nach Hamburg heimgekehrte Unteroffizier Beckmann, sich einem Kabarettdirektor vor. Er wird abgelehnt; die Schmerzen der Zeit sollen nicht selber sprechen, sondern mit Spaßmacherei gestillt werden: „Mit der Wahrheit macht man sich nur unbeliebt. Wer will denn heute etwas von der Wahrheit wissen?“

Ein Kritiker, der die Zeit miterlebt hatte, schrieb 1981 nach einer Darmstädter Aufführung: „Daß damals im Chaos zertrümmerter Städte jeder, der den Massenmord überstanden hatte, nur an sich dachte, denken mußte, war Realität.“ Ein „Moralist“ wie Beckmann werde in dieser Wirklichkeit zur seltsamen Gestalt, zur „tragikomischen Figur“. Auch der Literaturgeschichtler Karl S. Guthke sah den tragikomischen Zug des Stückes, das er im Übrigen als ein „ziemlich infantiles, von Selbstbemitleidung triefendes Zeitdokument einer enttäuschten Generation“ abtat. Das harsche Urteil teilt sicher mehr über den Geist und die politische Abwehrfähigkeit dieses literarischen Richters mit als über Borchert, und vielleicht war es auch das Klima solcher Verdrängung, das der „enttäuschten“, fassungslosen Generation den Mund verschlossen hatte – den Borchert nun auftat. Freilich, „das Leben geht weiter“, und , wer überleben will, macht es sich am leichtesten, wenn er Moral Moral sein läßt und rasch zu den praktischen Tagesdingen übergeht – wie der Oberst in Borcherts Stück: Befehl war BefehI und wer dem skrupuIös nachhängt, macht sich nur die Zukunft schwer. Mit dem Vergessen und Verdrängen hatte Borchert gerechnet; dagegen stemmt sich Beckmann. „Draußen vor der Tür“ ist keine Abrechnung, Beckmann war kein Ankläger. Er stellte in seiner Hoffnungslosigkeit peinigende Fragen an die Welt, vielleicht unbeantwortbare, weil seine Situation ausweglos schien; denn „das Leben selbst ist die Antwort“, wie Borchert in einem Brief‘ schrieb. Beckmann verschaffte denen eine Stimme, die nicht einfach vergessen und verdrängen konnten.

In den Gedächtnis-Veranstaltungen zum 8. Mai ist wieder die Frage erhoben worden, ob das Kriegsende als „Kapitulation“ oder als „Befreiung“ begriffen werden müsse. Diese Alternative selbst ist ein Versuch, bloß historisch zu objektivieren; die Fragestellung bereits distanziert sich von der Erlebniswucht des einzelnen Menschen. Aber auch hier hat Geschichte ihren Ort, zwischen den Quadern politischer Erkenntnisse und Entscheidungen. Was denn, wenn die am eigenen Leib, mit eignen Sinnen erfahrene Vergangenheit des Krieges sich wie ein Alp auf die Gegenwart legt? Wenn x man sich, wie der Unteroffizier Beckmann, am Tode von elf Soldaten schuldig fühlt, weil man „Verantwortung“ übernommen und einen Durchhalte-Befehl ausgeführt hat?

Lebensnotwendig freilich ist das einfache positive „Ja“, das im Stück Beckmanns alter ego, der „Andere“ sagt, die Ermunterung weiterzuleben, weiterzumachen. „Draußen vor der Tür“ ist kein Plädoyer für den Selbstmord. Es wird, wie in Borcherts letztem Manifest NEIN gerufen, weil zu viele schon wieder Ja sagen. Die Jas, das Lebenwollen, hindern den Verzweifelnden an der Selbstvernichtung. Die EIbe spuckt den Selbstmörder wieder aus; ein Mädchen nimmt den Triefenden mit nach Hause. Es gibt Möglichkeiten für Beckmann, doch das Stück Iäßt keine Menschlichkeit gelten, die die schreienden Zweifel, die die nächtlichen Traumqualen als bloße Schwäche abtut. Nein! – damit das Ja nicht pausbäckig wird. Die Frage „Wie können wir leben“, vielleicht die Grundfrage der gesamten Dramatik, wie können wir über den Gräbern von Hekatomben von Opfern noch leben, bleibt als Problem bestehen. Borchert beharrt darauf, und er reicht sie uns weiter, über die Wohlstandsjahre hinüber. Da ist mehr als nur die Nachkriegssituation angesprochen; ihre besondere Unerträglichkeit allerdings macht, daß Beckmanns verhallende Fragen sich an die Welt im ganzen richten, an eine Welt, deren Gott versagt haben muß: ein alter hilfloser Mann, so tritter im Stück auf, schmächtig gegenüber dem fett gewordenen Tod, dem „Beerdigungsunternehmer:‘ und „Straßenkehrer“ (dessen Bild als Müll-Beseitiger das ‚Wirtschaftswunder‘ und seine Nachtseiten visionär vorausnimmt).

Ein Heimkehrer kehrt heim, kriegs-beschädigt, mit seiner Gasmaskenbrille eine groteske Figur, fremd in der neu sich etablierenden Welt. Er kommt heim und findet kein Zuhause. Die Wohnung seiner Frau ist bereits von einem anderen Mann besetzt. Andere Türen öffnen sich durchaus, man ist wohl bereit, ihm zu helfen, aber nicht in seinem Sinn. Hinter den Türen ist Zukunft. Aber was ist das für eine Zukunft, hinter der die Türen zu sind? Die Tür ist ‚“die Schwelle zwischen Eingesperrtsein und Ausgesperrtsein. Beckmann ist drinnen aus-, draußen eingesperrt. Er kommt nichts ins Heimische, ein Gefangener freilich auch seiner selbst, der Selbstzufriedenheit nicht finden kann. Peter Rühmkorf spricht in seiner Borchert-Monographie von einem „im Grunde romantiscl1en Ausnahmezustand“ und schreibt über Beckmann, daß ihm der Friede nicht geraten sei, „weil er an der eigenen Friedlosigkeit scheitert.“ Es geht hier allein um das Subjekt, das in Gefahr gerät sich aufzugeben, gerade weil es sich, seine Ansprüche nicht aufgeben will; der Moralist tat nichts anderes, als dem neuen Phönix die Flügel mit der Gewissensfrage wieder anzusengen. Auf diese Weise ist Borchert zum Sprecher der Jugend von 1945 geworden, die vaterlos zwischen den Ruinen der Häuserzeilen und einer zusammengebrochenen Überideologie herumirrte und neue Orientierung suchte.

Nicht die an expressionistischen Vorbildern wie Tollers „Hinkemann“ geschulte Form des Dramas, nicht die Technik der Stationen, die durch eine einzelne Figur – Beckmann – verbunden werden, machte den Erfolg des Stückes aus. Formal, ästhetisch interessant ist allenfalls die musikalische Struktur, die die Sprache mit ihren Motivverkettungen und Wiederholungen durchdringt und sich in einem Traumfinale, in dem alle Stimmen nochmals Revue passieren, erfüllt: In der Musik, nicht in der Dramaturgie des Werkes zündet die Erregung, die das Stück mitteilt. Die Kraft des unmittelbaren Erlebens wirkt in der Beckmann-Figur; hinter ihr treten die Schwächen des Stücks, die altmodische Bauart, der allegorische Spuk zurück.

Daß hier das Geheimnis von „Draußen vor der Tür“ stecke, daß es nur „über den unmittelbaren Eindruck“ funktioniere, auch über die Zeiten hinüber, sagt auch Hans Quest, der Beckmann des Hörspiels und der Uraufführung. Ihm hatte Borchert das Stück gewidmet, nachdem er die Sendung gehört hatte; und die Rolle und die Begegnungen mit Borchert haben Quests Leben mitgeprägt. Auch er hatte, wie Borchert, 6 Jahre Krieg hinter sich; und was dieser Autor schrieb, hallte im Schauspieler sofort wieder: „Das Stück“, sagte Quest zu mir, „fiel aus mir raus.“ Die Xylophon-Vision, dies grause Traumbild vom General, der auf den Knochen der Kriegstoten aufspielt, hält Quest für eine „Jahrhundertdichtung“. Jeden gehe an, was Borchert erlitten habe und in diesem seinem „Requiem“ schreiben mußte. Das Stück sei einzig „vom Blatt“ zu spielen, erlaube keine Konzeptveränderungen; es lebe „aus der Kraft des Wortes“ und verlange nach knappen Bühnentiteln: Licht, Schrägen, Prospekte. Der Erfolg sei abhängig davon, „wie glaubhaft ein Schauspieler Beckmann personifiziert“. Die Sprache fließe von einem Satz in den nächsten; die Impulse des Stromes seien „Fieberstöße“. „Es muß gespielt werden aus dem heißen Herzen“ – eine Wiederbelebung als Lesung, die mir gegenüber eine junge Regisseurin des Schauspielhauses für möglich hielt, da nur das Dokument zu retten sei, lehnt Quest lebhaft ab. Alle Stilisierung sei verboten. Wer sich aber auf die Identifizierung einlasse, werde immer wieder erfahren, welche Lebenskraft das Stück 1n sich bewahre: „Aus dem innersten Grund kommt so viel Wahres und Unverrückbares, und das hält sich.“

1972 hatte Quest das Stück für ein Schweizer Tourneeunternehmen inszeniert, mit Uwe Friedrichsen als Beckmann. Friedrichsen erinnert sich daran als an seine „vielleicht erfolgreichste“ Gastspielreise; ganze Schulklassen hätten sich in seine Garderobe gedrängt und, tief betroffen, Fragen gestellt.

Außer Quest und Friedrichsen haben sich noch viele gute Schauspieler den Beckmann zueigen gemacht; Robert Graf, Karl John, Heinz Reincke und Hannes Messemer sind darunter. Rudolf Noelte inszenierte das Stück 1957 mit Paul Edwin Roth im Fernsehen. Eine allerdings fragwürdige Filmfassung entstand bereits 1949 unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner, der auch die Uraufführung geleitet hatte. Der Titel „Liebe ’47“ gibt bereits die Tendenz der Veränderung an. Der Heimkehrer Beckmann will gleichzeitig mit einer jungen Frau in die Elbe steigen; beide halten sich gegenseitig am Leben; die Figur des „Mädchens“ ist zur Hauptrolle aufgewertet worden (Hilde Krahl-Liebeneiner). Von der Rahmenhandlung aus werden die Stationen des Stücks als Retrospektiven hochgeholt, aufgeschwemmt durch klischeehafte biographische Erweiterungen. Die Traumsequenzen sind heute kaum mehr erträglich. Allein Karl John, der Darsteller des Beckmanns, der den Nazis selber nur um Haaresbreite entkommen war, vermittelt den Ausdruck des originalen Stückes. Auf seine bangen, zerrenden Fragen gab Lieheneiner die Antwort: Beckmann braucht eine Beckfrau.

Über den Wert der individuellen Liebe war Borchert sich sehr im klaren, aber er hob seine Fragen darin nicht auf. Und es sind gerade die Fragen, die das Stück, über alle Heimkehrer-Problematik hinaus, am Leben erhalten. Das Stück ist nicht da, seine Zuschauer zu trösten, sondern ihren eigenen Zweifel wachzuhalten und ihr Mißtrauen in die Würde der Welt nicht seelischer Verfettung aufzuopfern. Auch in unserer weltpolitischen Lage gibt es Anlässe genug, nach dem Sinn zu forschen. Diesen Drang transportiert „Draußen vor der Tür“ über die Jahre, und nicht nur für die jeweilige Jugend-Generation.