Tag: 22. November 2008

Premiere – „Draußen vor der Tür“ – Schloss-Spiel-Ensemble – 21.11.2008 19.00 Uhr

Am 61. Jahrestag der Uraufführung von „Draußen vor der Tür“ hat dieses Stück Premiere zu dem Ereignis Kulturhauptstadt 2010. Trotz Unwetterwarnung finden viel Besucher in die Aula des Albrecht-Dürer Gymnasiums.

Hier folgen Fotos, wie man sie selten von einer Premiere sieht, nämlich versteckte Blicke von Nadja Gruhn hinter die Kulissen – das Schloss-Spiel-Ensemble intim.

Szenenfotos von Bernd Müller:

 

Premierenbesprechung von Jan Pfennig:

„Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück.“

Schloss-Spiel-Ensemble zeigt Borcherts „Draußen vor der Tür“

Eine Möglichkeit der Aktualisierung von Vergangenem boten Dr. Peter Schütze und die Schauspieler der Hohenlimburger SchlossSpiele am 21.11.2008 mit Borcherts „Draußen vor der Tür“ (1947) im Albrecht-Dürer-Gymnasium. Diese Inszenierung beschränkt sich nicht nur auf die Tragik der Kriegsheimkehrer nach 1945, sondern Peter Schütze lässt Borcherts Beckmann in melancholischen, ironischen und wütenden Passagen die Stationen der Verleugnung individueller und kollektiver Erfahrung zeigen. Thomas Mehl, Lehrer des AD, setzte die Schauspieler ins angemessene Licht. Der Freundeskreis Hagen-Smolensk zeichnet verantwortlich für dieses Hagener Projekt „Wo ist Zuhause?“  der RUHR.2010 Kulturhauptstadt Europas.

Adam Hildenberg bringt den melancholischen Grundton in der mal wütenden, mal zweifelnd resignierenden Figur Beckmanns auf jedem Quadratzentimeter der Dürer-Bühne sehr überzeugend zum Ausdruck. Analog der aufgeworfenen Frage, die aus dem Ringen der Hauptfigur mit den gesellschaftlichen Instanzen hervorgeht, gestaltet Schütze die Bühne motivisch: Ein mittig platzierter Steg vor dem Hintergrund einer hellen Lichtbahn zwischen dunklem Vordergrund bricht ab. Welche Lehre entnehmen die Menschen den Soldatenschicksalen und können sie eine Zukunft gestalten, in der sie ein würdiges Leben in Verantwortung dem Nächsten gegenüber führen? Wer aber baut den Steg weiter? Wie müsste er weiter begangen werden? Auf diesem Symbol für den Weg der Erinnerung aus dem Dunkel ins Licht treten Gott, exzellent von Peter Schütze interpretiert, und die Figur des Anderen, hervorragend gespielt von Michael Creutz, aber auch der Tod, Sven Söhnchen, auf die Bühne. Frau Kramer wird von Nadja Gruhn bestechend in Hamburger Dialekt spitzzüngig dargeboten, ebenso die „Elbe“ in stimmigem Kostüm. Sie alle symbolisieren, worum es gehen muss, klagt einer sein Schicksal unter den Menschen an. Ein Lebensweg von Kälte, Schmerz, Gewalt und Tod, aber auch ein Weg der Liebe zum Leben, dem Willen zum Überleben, der Freude an der Lebendigkeit, wie es das Ringen Beckmanns zwischen Selbstaufgabe und Neuanfang deutlich zeigt, wie es Borchert in seinem Text „Das ist unser Manifest“ für die Literatur seiner Zeit formulierte: „Unser Manifest ist die Liebe. Wir wollen die Steine in den Städten lieben, unsere Steine, die die Sonne noch wärmt, wieder wärmt nach der Schlacht.“

Die Hauptfigur kollidiert mit den Strategien der Leugnung, die das Trauern und den Schmerz von Erinnerung nicht zulassen. Was einst die Mitscherlichs mit der „Unfähigkeit zu trauern“ (1967) veranschaulichten, sind Verhaltensmuster, die Erinnerung und Fragen im Kontext der Vergangenheit kollektiv tabuisieren und angesichts der ausgesprochenen Schuldfrage verdrängen. Im Kern handelt das Stücks von der gestalterischen Kraft der Erinnerung – eben gerade, weil diese Kraft nicht in Erscheinung tritt. Indem Beckmann von denen abgewiesen wird, die die Zukunft definieren, bleibt ihm nur ein Platz: Draußen vor der Tür – konsequent und allerorts. Lediglich das brillant von Ariane Raspe gespielte „Mädchen“ klagt die Gemeinsamkeit der biographisch Verstümmelten ein. Mit ergreifender Intonation lässt Raspe das Sprechen des Mädchens, die Entäußerung von Denken im Ton und im Wort, dem verzweifelten Kampf Beckmanns ebenbürtig erscheinen. Die beiden Figuren sind zu einem tragischen Paar verbunden. Ihre Verbindung aber, das ist die doppelte Tragik, bleibt uneinlösbar. Die Menschen tragen ihr Schicksal in Einsamkeit, das Trauma bleibt eingeschlossen.

Äußerlich stigmatisiert ihn die Gasmaskenbrille, innerlich ist er zerbrochen durch die Lebenserfahrungen: So bleibt Beckmann nur der beharrliche Blick durch dieses Kriegsutensil, denn die Erinnerung will nicht verschwinden, das Trauma muss verarbeitet werden. Diese Blickrichtung  stellen Adam Hildenberg und „sein“ Mädchen unter die Haut gehend dar, während die Facetten der Verleugnung durch ein Fratzenkaleidoskop der Typen eine durch Konsens gestützte Definition von Opferrollen weiterführen. Auch diese Rollen sind von Peter Schütze mit Spuren der Menschlichkeit ironisch in ihrem Versagen gezeichnet worden. Hilflosigkeit, Verweigerung und der Charme einer rabiaten Gefühllosigkeit im Sinne des „hart angefasst“ -Werdens (der Oberst) verwehren Beckmann den Zutritt zur „geschlossenen Gesellschaft“ (Sartre) und er verzweifelt bei einem seiner Versuche Anschluss zu finden: „Einmal muss man doch irgendwo eine Chance bekommen.“

Beckmann, das Synonym für den einen der Kriegsheimkehrer von denen, scheitert an einer Vergangenheit, die in die Gegenwart verzerrt verlängert wird, denn auch ihn hat man mit Schuld beladen – „Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück“. Träume und Phantasmen ragen in die Realität, sind Bestandteil seiner Wahrnehmung. Handelt es sich bei Verdrängung um ein menschliches Grundmuster? Diese Frage bleibt aktuell, sie zeigt die Leistung Borcherts das Thema der Ausgrenzung zum Theaterklassiker gemacht zu haben und der junge Adam Hildenberg stellt diese Problematik mehr als überzeugend dar. Peter Schütze und das SchlossSpielensemble zeigt diesen aufrüttelnden Klassiker „spielend“ in überzeugender, ergreifender Darstellung. „Gerade für die Jugend ist die Thematik unentbehrlich, wenn sie aus der Geschichte für die Zukunft lernen wollen“, so äußerte sich Monika Sinn, Lehrerin des THG, die ihren Literaturkurs motivieren konnte, an diesem Freitagabend lebendiges Schauspiel zu erleben. Verantwortung jedenfalls muss oft eingeklagt werden – das können die Jugendlichen daraus lernen.

Der Freundeskreis Hagen-Smolensk präsentiert dieses Stück als RUHR.2010- Projekt. „Es ist wichtig, diesen Stoff mit professionellen Schauspielern in Hagen zu zeigen und das Ensemble wird damit in Smolensk gastieren und damit die Verbundenheit zu Russland unterstreichen“, so Hans-Werner Engel.

Dieses Kulturprojekt mit Tiefgang muss eine breite Öffentlichkeit in Hagen erhalten und die Menschen werden erkennen, welch großartige Leistungen Künstler in Hagen auf die Bühne erbringen. Warum kauft das Hagener Theater teure Tourneebühnen ein, wenn wir vor Ort selbst hervorragende Angebote haben?

Begeistert jedenfalls hat sich Peter Mook geäußert, der vom Anspruch dieses Kulturprojektes und seiner zu leistenden Würdigung überzeugt ist.

 Jan Pfennig (Bochum)